Physiknobelpreis 1984: Simon van der Meer — Carlo Rubbia

Physiknobelpreis 1984: Simon van der Meer — Carlo Rubbia
Physiknobelpreis 1984: Simon van der Meer — Carlo Rubbia
 
Der Italiener und der Niederländer wurden für ihre Verdienste ausgezeichnet, die zur Entdeckung der Feldpartikel W und Z geführt haben.
 
 Biografien
 
Simon van der Meer, * Den Haag (Niederlande) 24. 11. 1925; 1945-52 Studium der Technischen Physik an der Technischen Universität in Delft, 1956-90 am Europäischen Zentrum für Teilchenphysik (CERN) in Genf, entwickelte die stochastische Strahlkühlung bei Teilchenbeschleunigern.
 
Carlo Rubbia, * Gorizia (Italien) 31. 3. 1934; 1958-60 Forschungen an der Columbia University in New York, dann an der Universität von Rom, seit 1962 am CERN in Genf, seit 1989 Generaldirektor dieser Organisation.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Das Europäische Zentrum für Teilchenphysik in Genf (CERN) gewann den wissenschaftlichen Wettstreit mit dem Fermilab in den USA um den Nachweis der Vektorbosonen. Die an diesem Großprojekt der Elementarteilchenphysik maßgeblich beteiligten Physiker, der Italiener Rubbia und der Niederländer van der Meer, wurden für den Nachweis des Z-Bosons ausgezeichnet.
 
Die schwache Wechselwirkung ist neben der Schwerkraft, dem Elektromagnetismus und der starken Wechselwirkung eine der vier fundamentalen Feldkräfte der Natur. Schon Albert Einstein (Nobelpreis 1921) hatte versucht, die vier Grundkräfte in eine vereinheitlichte Theorie zu überführen. Es ist ihm ebenso wenig gelungen, wie es Werner Heisenberg (Nobelpreis 1932) gelang, die Weltformel zu finden. Dennoch scheint einiges dafür zu sprechen, dass die vier Kräfte lediglich verschiedene Erscheinungen einer einzigen fundamentalen Wechselwirkung sind. Grundlage dieser Hypothese ist die Glashow-Weinberg-Salam-Theorie, die die schwache und die elektromagnetische Kraft in eine einheitliche Eichtheorie, die elektroschwache Wechselwirkung, zusammenführt.
 
Die Quantenfeldtheorie beschreibt die Wechselwirkung zwischen zwei Elementarteilchen als Austausch eines dritten Teilchens, das die Kräfte zwischen ihnen vermittelt. Das Mittlerteilchen erfüllt die Feldfunktion, die über räumliche Entfernung wirken kann. Im elektromagnetischen Quantenfeld übernimmt diese Funktion das Photon oder Lichtquant. Die schwache Kraft ist für den radioaktiven Betazerfall verantwortlich und tritt zwischen Elektronen und Nucleonen — Proton und Neutron — auf. Sie wird, nach der Hypothese von Sheldon Glashow (Nobelpreis 1979), von den Teilchen W+, W- und Z0 vermittelt. Die elektroschwache Theorie fasst sie mit dem Photon zu den intermediären Vektorbosonen zusammen.
 
 Schwache Kraft mit schweren Teilchen
 
Die Theorie geht von masselosen Bosonen aus. Doch unter bestimmten Bedingungen werden sie massiv. Hideki Yukawa (Nobelpreis 1949) hatte schon 1935 erkannt, dass die Reichweite einer fundamentalen Kraft umgekehrt proportional zur Masse der Wechselwirkungsteilchen sein müsse. Die elektromagnetische Kraft hat theoretisch eine unendliche Reichweite, die Photonen sind deshalb masselos. Da die schwache Kraft eine sehr kurze Reichweite hat — sie reicht nicht über den Atomkern hinaus —, müssen die Bosonen eine sehr große Masse besitzen. Aus diesem Grund war es sehr schwierig, die postulierten Teilchen nachzuweisen. Die Teilchenbeschleuniger erreichten lange Zeit nicht die zur Erzeugung erforderlichen Energien. 1973 wurde bei Experimenten am CERN schwache Wechselwirkung beobachtet, bei der die Teilchen ihre elektrische Ladung behielten. Zum ersten Mal war ein neutraler schwacher Strom beobachtet worden. Es musste sich nach der Theorie um einen Prozess handeln, bei dem zwei Teilchen ein neutrales intermediäres Boson, das Z0-Teilchen, ausgetauscht hatten.
 
Dieser Erfolg forderte den Beweis der hypothetischen Vektorbosonen geradezu heraus, obwohl für einen direkten Nachweis die Energie fehlte. Protonen ließen sich zwar auf hohe Energien beschleunigen. Der größte Teil der Energie verpuffte aber durch seine Umwandlung in Bewegungsenergie der beschossenen Teilchen.
 
Rubbia, van der Meer und ihren Kollegen gelang es, das Problem zu lösen. 1976 konstruierten sie am CERN das Superprotonensynchrotron (SPS). Damit konnten sie zum ersten Mal gegensinnig hochbeschleunigte Protonen und Antiprotonen in einem einzigen Ringbeschleuniger frontal aufeinander prallen lassen. Vom Sommer bis Weihnachten maßen die Physiker 250 000 Stoßereignisse, Vektorbosonen fanden sie jedoch nicht.
 
 Die Teilchen werden eingekellert
 
Schwierigkeiten bereitete der Antiprotonenstrahl. Die Teilchen mussten durch Kollision eigens hergestellt werden. Am CERN wurde dazu Kupfer mit hochenergetischen Protonen beschossen. Bei einer Million Kollisionen entstand im Mittel aber nur ein einziges Antiproton. Und das hatte auch noch eine sehr niedrige kinetische Energie von etwa 3,5 GeV (Gigaelektronenvolt). Die Forscher brauchten aber mindestens 100 Milliarden der Teilchen, damit die Stoßzahl zwischen Protonen und Antiprotonen das experimentell nötige Mindestmaß erreichte. Sie sammelten deshalb ihre Ausbeute in einem speziellen kleinen Antiprotonenspeicherring. Schubweise wurden die Teilchen alle 2,4 Sekunden »eingekellert«, bis sich nach etwa 24 Stunden ein paar hundert Milliarden »Kartoffeln« angesammelt hatten.
 
Doch ihr »Keller« erwies sich als nicht richtig temperiert. Die Antiteilchen hatten keine einheitliche Energie. Sie bildeten eine Art Gas mit zufälligen diffusen Bewegungen der Antiprotonen. War deren Temperatur zu hoch und die Bewegung zu heftig, trafen sie auf die Beschleunigerwand und wurden vernichtet. Energie ging auf diese Weise nutzlos verloren, der Strahl wurde immer diffuser. Van der Meer hatte jedoch schon seit 1968 eine Lösung parat, die stochastische Kühlung.
 
Mit dem statistischen Verfahren ließen sich die zufälligen Geschwindigkeitsdifferenzen verringern. Der Antiprotonenspeicher wurde mit Abtastern ausgerüstet, die registrierten, wie weit die Antiteilchen im statistischen Mittel von der idealen Bahn abweichen. Die Messergebnisse geben die Abtaster, gewandelt in ein Korrektursignal, an einen Impulsgeber auf der gegenüberliegenden Seite des Rings. Ist die Teilchenherde aus der vorgeschriebenen Bahn ausgebrochen, wird ein elektrisches Feld aufgebaut, das die Bahn des diffusen Strahls wieder korrigiert. Das Zusammenspiel von Abtaster und Impulsgeber funktioniert, obwohl die Antiteilchen nahezu mit Lichtgeschwindigkeit durch den Ring fliegen. Denn das Signal nimmt eine Abkürzung. Es läuft längs einer Sehne quer durch den Ring zum Impulsgeber.
 
Sind genügend Antiprotonen eingekellert, werden sie in das Protonensynchrotron geschickt, auf 26 GeV beschleunig und dann in das SPS eingespeist. Dort laufen sie gegensinnig zu den kreisenden Protonen. Beide Strahlen werden auf 270 GeV beschleunigt und dann aufeinander gerichtet. An den zwei Kreuzungspunkten sitzen Detektoren, die die Trümmer der Kollisionen aufzeichnen. Der UA1 genannte erste Detektor ist zehn Meter hoch, fünf Meter breit und wiegt 2000 Tonnen. An seiner Konstruktion waren mehr aus 100 Physiker aus zahlreichen Staaten und Institutionen beteiligt, unter anderem von der Universität Aachen. UA1 alleine kostete 50 Millionen Mark. Der riesige Aufwand an Menschen und Material hat sich gelohnt. Zwar fürchteten die Forscher, einem Phantomteilchen nachzujagen; »denn die elektroschwache Theorie könnte, allen bisherigen Erfahrungen zum Trotz, auch falsch sein«, meinten sie noch 1982. Doch wenige Monate später, zu Beginn des Jahres 1983 gelang es ihnen, fünf Z0-Teilchen zu erzeugen und zu detektieren. Das Z-Boson hatte eine Masse von 91,18 GeV. Ein Proton hat dagegen etwa die Masse von 1 GeV. Mit dem Nachweis ist die Zahl der fundamentalen Kräfte von vier auf drei gesunken.
 
U. Schulte

Universal-Lexikon. 2012.

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